Es ist lange her. Ja, es muss ziemlich lange her sein. Vermutlich habe ich vor einem Jahr meinen letzten Text geschrieben. Das war so nicht geplant. Es war auch keine Absicht. Es ist einfach passiert. Dabei ist einiges passiert, worüber ich hätte schreiben können: Ich habe zum Beispiel einen neuen Job zum Jahreswechsel angefangen und noch vor dem ersten Arbeitstag eine Liaison mit meinem Chef. Noch vor dem ersten Arbeitstag habe ich sie zwar wieder beendet. Aber dass die Sache nicht durchdacht und nicht so wirklich klug war, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Klar. Menschen können in Anbetracht von Emotionen professionell sein. Das mag vorkommen. Aber mehr wie Albino-Meerschweinchen. Es gibt sie, aber tatsächlich ziemlich selten. Aber ich will mich nicht beschweren. Ich hatte die Sache selbst verbockt und musste irgendwie da durch.
Und mittlerweile läuft es gut. Richtig gut. Nicht nur im Job, sondern vielmehr insgesamt. Und das ist wohl auch der Grund, warum ich nicht geschrieben habe: Ich borderliner nicht mehr. Also, kaum. Unmerklich. Es mag Situationen geben, in denen ich nicht innehalte und nicht ganz so gelassen reagiere, wie ich es mir vorstelle. Aber in diesem Jahr waren es weniger als fünf. Also nichts, was pathologisch wäre oder dem Gegenüber auffällt. Und mal ehrlich. Ich bin auch nur ein Mensch und eine Ernennung als Buddha oder Dalai Lama hatte ich nie angestrebt.
Ich weiß nicht, wie’s gekommen ist. Vielleicht haben die Therapien über all die Jahre eingewirkt, wie eine Haarkur oder Creme, und ihre Effekte nun entfaltet. Vielleicht hat es auch „Klick“ gemacht, so dass ich mich annehme, wertschätze und weitestgehend gut finde. Vielleicht hat sich das Borderline mit dem Alter rausgewachsen. Ich weiß es nicht. Vielleicht kommt alles auch zusammen. Ich weiß nur, dass es mir gut geht. Und deshalb habe ich nicht geschrieben. Denn wie soll ich einen Blog über Borderline betreiben, wenn ich nicht mehr damit kämpfe? Wie soll ich für Menschen schreiben, deren Alltag dadurch leidet?
Doch wenn ich hier sitze und meinen Unterarm betrachte, bleibt dieser Teil mir sehr präsent. Zurzeit besonders vor dem Kontrast der Sommerbräune: Feine dünne Narben von Messern und Rasierklingen. Die ausgefransten Kreise zerdrückter Zigaretten. Und am deutlichsten der Schürhaken aus der Wohnung mit Kamin, die ich zur Zwischenmiete hatte. All das Leid, all die Zerrissenheit, die Leere und die Anspannung, die kaum auszuhalten sind, und mein Leben lange prägten, spiegeln sich in diesem Arm. Und, nun? Nun sitze ich hier und es herrscht sowas wie Frieden. Kein Waffenstillstand. Frieden.
Und das zu einem Moment, in dem in Europa wieder Krieg herrscht, die Pandemie weiter grassiert und die Klimakatastrophe uns mit aller Wucht verdeutlicht, dass sie nicht zu stoppen ist. Das ist schon paradox. Und ein bisschen schlechtes Timing. Aber vielleicht lässt sich ein Weltuntergang auch besser ertragen, wenn man mit sich im Reinen ist. Ich werde es herausfinden. Ob ich es möchte oder nicht. Und vielleicht darüber schreiben. Sofern das angemessen ist.