Woche 16. Tag 106.
Selbst der schönste Urlaub geht einmal vorüber. Und auch mein betreuter Urlaub ist nach 15 Wochen nun vorbei. Zeit, Bilanz zu ziehen. Nur fällt mir das ein wenig schwer. Doch wie wir Therapierten wissen: Struktur hilft immer! Sei es um aufzustehen und durch den Tag zu kommen, Doktorarbeiten zu schreiben oder Fischstäbchen zu braten. Struktur hilft in jeder Lebenslage. Warum nicht mir bei meinem Text. Und welche Struktur eignet sich besser als der Leitfaden des Abschlusstherapiegespräches:
Frage 1: Welche Therapieziele haben Sie verfolgt? Haben Sie diese Ziele erreicht? Konnten Sie etwas für sich mitnehmen?
Oh ja. Ich konnte einiges mitnehmen: Ein Paar Feenflügel, eine Kampfpilotinnenuniform und einen schwarzen Glitzerhut mit Leuchtdioden. Der kann sogar in drei Intervallen blinken. Therapeutisch war die Ausbeute leider nicht ganz so hoch. Das lag aber nicht an meiner Therapeutin. Sie war fachlich kompetent, engagiert und einfühlsam. Auch machte sie mir zu Anfang klar, dass ich vom standardisierten Therapieprogramm der Suchtklinik nicht viel Neues lernen werde bei meiner ganzen Vorerfahrung. Das war zum Glück auch nicht mein Ziel. Mein Ziel war es vielmehr, meinem Alltag zu entfliehen und in einem geschützten Umfeld mit therapeutischer Begleitung an mir und meinem Herausforderungen zu arbeiten. Und vor allem die Dinge endlich anzuwenden, die ich jahrelang gelernt habe. Die Rahmenbedingungen waren dafür wirklich gut. Dass es mir trotzdem nicht gelungen ist, daran bin ich selbst schuld.
Frage 2: Wie war Ihr Verhältnis zu den anderen Gruppenmitgliedern?
Öhm…gut! Sehr gut. Etwas zu gut, um genau zu sein. Denn in Woche acht habe ich mich in einen Mitpatienten verliebt. Das ist soweit nichts Neues. Bisher habe ich mich immer in der Psychiatrie verliebt. Aber diesmal war es gegenseitig. Und das war schlimm. Ganz schlimm. Noch schlimmer als unglücklich verliebt zu sein. Denn es hat mich nicht nur von mir und meinen Therapiezielen abgehalten, sondern destabilisiert. Zwei instabile Menschen in einer Beziehung sind eben einer zu viel. Was in diesem Fall bedeutete: Ging es ihm schlecht, ging’s mir auch schleicht. Und einem depressiven, latent suizidalen ADHSler geht es nun mal dauernd schlecht. Die zweite Hälfte meines Aufenthalts bestand somit aus den gleichzeitigen und verzweifelten Versuchen, mich um ihn zu kümmern, abzugrenzen, selbst zu schützen und dabei konstant zu verfluchen, dass mir so etwas passiert ist. Aber das hat symbolischen Charakter: Wenn alles gut läuft, verliebe ich mich und das macht alles kaputt.
3) Wie schätzen Sie Ihre Motivation zur Abstinenz ein?
Hoch. Sehr hoch. Schließlich ist es das Einzige, was ich aus den 15 Wochen als Erfolg verbuchen kann: Ich habe seit vier Monaten keinen Alkohol getrunken. Und darauf bin ich stolz. Zumal ich seit einer Woche depressiv zu Hause sitze und wohl so etwas Kitschiges wie Liebeskummer empfinde. Eigentlich die perfekte Versuchsanordnung, um sich mal richtig zu betrinken. Und ich hätte auch Lust, mich zu betrinken. Nur habe ich keine Lust auf Alkohol. Ein echtes Dilemma. Aber wenigstens ein Fortschritt.