Diesmal wird’s nicht schlimm, haben sie gesagt. Zum Erholen beinah, haben sie gesagt. Entspannen könnten wir uns dabei, haben sie gesagt. Und dann haben sie gesagt, was das Thema sein wird: Werte. Unsere Grundwerte. Und da hatte ich schon Fragen. Ja, es kamen mir gar leichte Zweifel. Um mit allem hatte ich recht. Und es kam sogar noch schlimmer.
Erst sollten wir uns vorstellen, wir wären alt. Richtig alt. Was natürlich keinen Spaß macht. Und dann sollten wir uns Fragen stellen aus dieser Perspektive. Fiese Fragen, folgende Fragen:
Wie hätte ich gern mein Leben verbracht? Nach welchen Grundwerten hätte ich gern gelebt? Und nach welchen Werten lebe ich gerade?
Und das erste, was ich dachte, war: Scheiße. Du hast Dein Leben falsch gelebt. Und jetzt ist alles schon zu spät. Ich sah mich als alten Menschen vor mir auf dem Sterbebett. Sah zurück auf dieses Leben. Voll Selbstoptimierung und Verhaltenszwängen. Voll Leistungswunsch und Disziplin. Sah Sonntage am Schreibtisch. Mit Arbeit, die für mich so wichtig scheint. Und am Ende eines Lebens für ein erfülltes Leben dann doch eben nicht genug ist. Ich sah Beziehungen, die ich beendete. Freundschaften, die ich nicht pflegte. Kinder, die ich nicht bekam. Ich sah mich alleine sterben. Am Ende eines langen Lebens, das zwanghaft, einsam und damit auch sehr traurig war. Und als ich kurz vor‘m Weinen bin, kamen auch schon die nächsten Fragen:
Welche Werte lebe ich aktuell nicht? Welche inneren und äußeren Hindernisse halten mich derzeit davon ab meine Werte zu leben?
Ja. Ich weiß, was ich nicht lebe: Liebe und Nähe. Verbundenheit. Teil einer Gemeinschaft zu sein. Und ich weiß auch, was mich abhält: „Gesellschaft zu brauchen und nur bedingt ertragen zu können, ist eine der fieseren Paradoxien meiner Persönlichkeitsstruktur“*. Und Arbeit ist hier wohl Vermeidung, um mich der Sehnsucht nicht zu stellen und Menschen aus dem Weg zu gehen. Weil ich Arbeit besser kann als mich mit ihnen zu umgeben und Angst habe mich einzulassen. Verantwortung zu tragen und meine Freiheit aufzugeben. Und jetzt ist es dieses Maß an Freiheit, das mich maßlos überfordert. Und das mich nicht glücklich macht.
Und dann sollten wir uns fragen, wie Selbstmitgefühl uns unterstützen kann, die Hindernisse zu überwinden und mehr nach unseren Grundwerten zu leben. Und obwohl die Sitzung fast drei Wochen her ist, weiß ich diese Antwort nicht.
*https://thebigcuckoosnestdiary.wordpress.com/2015/08/04/naehe-und-distanz/